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OLG München: “Draußen nur Kännchen!”

draussenDie besten Satiren schreibt das Leben selbst. Wenn menschliche Dummheit nicht so himmelschreiend weh tun würde, könnte man sich köstlich über das Gebaren des OLG München im Rahmen des anstehenden NSU-Prozesses amüsieren. Es ist an sich schon tragisch genug, was in der Zeit vor der ersten Tat bis zur Prozesseröffnung alles schief gelaufen ist und unser Staat hat sich wahrlich nicht von seiner kompetentesten Seite gezeigt – im Gegenteil. Doch dass es nun auch noch möglich ist, dass eine handvoll unsensibler Querulanten in der Lage ist durch reinen Stursinn dem Ganzen die von braunem Rost befallene Krone aufzusetzen, zeigt einmal mehr die abgrundtiefe Kluft zwischen Sonntags(trauer)reden und der Realität im Umgang mit solchen Vorgängen.

Was sagt es über eine Gesellschaft aus, die in der Lage ist ganze Stadien für Einzelauftritte mittelmäßig anspruchsvoller Comedians umzufunktionieren, es jedoch nicht gebacken bekommt, ausreichend Platz für sämtliche Prozessbeteiligten in einem der größten Rechtsextremismusprozesse der bundesrepublikanischen Geschichte zu organisieren?

Auch wenn dies eine bösartige Unterstellung meinerseits ist, so werde ich einfach das Gefühl nicht los, dass aus dem historischen Blickwinkel deutscher Rechtssprechung hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Es geht halt nicht um die Pontows, Bubacks und Schleyers sondern nur um eine handvoll mutmaßlich selbst krimineller Dönerverkäufer. Wider besseren Wissens um die tragweite dieser als „Dönermorde“ verschrieenen Taten scheint diese Denke noch immer unterschwellig im Bewusstsein der Zuständigen vorzuherrschen.

In den 70er Jahren, als ein Netzwerk linksextremistischer Verbrecher über ein Jahrzehnt lang Deutschland in Angst und Schrecken versetzte, scheute man keine Kosten und Mühen, weder im Aufwand der Fahndung, noch in der Reihe von Prozessen, die daurauf folgte. Man baute sogar in der Justizvollzugsanstalt Stammheim für 12 Millionen DM eine eigene Mehrzweckhalle für den RAF-Prozess. Ebenfalls ein Prozess, der sich – wie im NSU-Prozess ebenso zu erwarten – über Jahre hinzog und zu dessen Beginn man nicht wusste, welche Ausmaße er annehmen würde.

Denn wer weiß schon, was in den kommenden Monaten oder Jahren noch so alles zutage gefördert wird, welche Akten noch gefunden, welche Beteiligten noch ermittelt werden und welche Prozesse zusätzlich noch in diesem Umfeld eröffnet werden müssen? Nach den unzähligen Entdeckungen der vergangenen Monate, ist nicht auszuschließen, dass noch mehr in irgendwelchen Akten schlummert, von dem auch heute noch keine Aufklärungskommission und noch kein Untersuchungsausschuss sich auch nur vorstellen kann, dass es existiert.

Doch bliebe der Prozess nur auf die heute bekannte und vorhersehbare Größe beschränkt, so ist es dennoch eine Verhandlung bei der zehn Morde behandelt werden sollen und an dem sich über 70 Nebenkläger sowie an die 50 Anwälte beteiligen, ganz zu schweigen von dem öffentlichen Interesse des Prozesses, der weit über das gewohnte Maß hinausgeht und auch international beobachtet werden wird. Wir stehen vor einem zeitgeschichtlichen Ereignis, über das wohl in den nächsten Jahrzehnten dutzende Bücher und Filme entstehen werden und dem die Enkel von Guido Knopp mehr als eine Folge History widmen werden. Warum also in Gottes Namen nun eine solche kleinkarierte Verbohrtheit?

Zumal das Problem recht einfach zu lösen wäre – auf verschiedenste Weise: So könnte man beispielsweise ebenfalls eine größere Örtlichkeit wie etwa eine Mehrzweckhalle umfunktionieren. Natürlich würde man dann in Anbetracht der zu erwartenden Länge hierbei auf Widerstand der eigentlichen Nutzer stoßen, wobei man jedoch auch hier garantiert Wege zur Lösung finden könnte, wenn man denn wollte. Ebenso wäre es möglich in oben genanntes Prozessgebäude in Stammheim umzuziehen, denn dieses ist entgegen der damals vorgesehenen späteren Nutzung dennoch immer wieder für Prozesse von gewisser Größenordnung genutzt worden und nicht etwa als Sporthalle, wie man seinerzeit dachte. Denn was spricht dagegen, dass das OLG München im Rahmen einer Amtshilfe die Räumlichkeiten des OLG Stuttgart nutzt, außer dass die zuständigen Richter dann ein paar Kilometer mehr Anreisezeit hätten? Zumal es ungeachtet juristischer Zuständigkeiten um einen Prozess geht, der die ganze Republik angehen sollte.

Erschreckt war ich auch, als ich den O-Ton irgendeines Pseudo-Organisators im Fernsehen sah, welcher meinte, dass eine Übertragung etwa auf Leinwand nicht realisierbar sei. Warum auch? Wir leben in einer Zeit, in der jede kleine Eckkneipe es schafft für zwanzig Stammgäste sieben Großbildleinwände auf dem Bürgersteig zu postieren, um ein Fußballspiel zwischen Usbekistan und Trinidad und Tobago zu verfolgen und in der nicht nur die Wagnerfestspiele live ins Internet gestreamt werden sondern selbst kleinstkommunale Standesamte Eheschließungen via Webcam beobachten lassen können. Da wäre es doch abwegig und vermessen zu erwarten, dass Ähnliches bei einem solchen Prozess organisiert würde – etwa in Form eines eigens eingerichteten Presseraums mit Leinwand, auf der die Medienvertreter das Geschehen live verfolgen könnten und ihnen dabei noch die Möglichkeit zu Liveschalten bei Kaffee und Kuchen gegeben wäre.

Stattdessen wählt man einen der räumlichen Dimension nach ungeeigneten Saal mit begrenzter Platzzahl und handelt nach dem Prinzip „first come, first serve“ als handele es sich um ein Justin-Bieber-Konzert, bei dem sich Menschen stundenlang im Voraus für Karten anstellen und verbietet ähnlich wie bei Eintrittskarten zu Fußballgroßevents die persönliche Übertragbarkeit der Eintrittskarten.

Wenn mich an meinem sonst in vielerlei Hinsicht so faszinierenden Vaterland eines stört, so ist es das ewige Rumreiten auf angeblich so alternativlosen Regelungen. Getreu der alten Maxime: „Draußen nur Kännchen.“ Oder wie es seinerzeit spöttisch aus Russland (sic!) hieß: „Wenn der Deutsche Revolution auf dem Bahnhof macht, hat jeder Teilnehmer eine gültige Bahnsteigkarte.“

Um meinem Blutdruck wieder Herr zu werden und nicht die Tischplatte zu gefährden, auf die ich gerade geneigt bin, meinen Kopf aufgrund dieser Schildbürgerei unablässig zu schlagen, sollte ich vielleicht langsam zum Ende kommen.

Es ist schon traurig zu sehen, dass es in unserem Lande möglich ist, dass es einer handvoll uneinsichtiger Hinterwäldler gelingt, einen solchen Eklat überhaupt entstehen zu lassen und schlimmer noch, dass ebenjene, wenn sie auf offensichtliche Mängel in ihrer Organisation hingewiesen werden, nicht in der Lage sind umzudisponieren. Zudem ist es tragischerweise ein weiterer metaphorischer Schuss aus der Česká der NSU, dieses Mal abgefeuert aus einer kleinen Terrorzelle inmitten des deutschen Justizapparates.

So sehr ich den Opferfamilien, die wahrlich genug zu ertragen hatten in den letzten Jahren, wünsche, dass man ihnen nun endlich mit dem angemessenen Respekt gegenübertritt und sie zumindest ansatzweise die ihnen gebührende Gerechtigkeit erfahren, so sehr wünsche ich den Zuständigen des OLG München, dass ihnen dieser ganze Prozess dermaßen um die Ohren fliegt, dass er auf ewig als Beispiel schlecht gemachter bürokratischer Organisation Eingang in die Geschichtsbücher finden wird, auf dass auch nachfolgende Generationen über ein solches Maß an Unfähigkeit lachen werden. Gott mit dir, du Land(esgericht) der Bayern!

Nächster Halt: Vatikan

Quelle: gettyimagesSeit etwa drei Stunden ist es offiziell: Die Welt hat einen neuen Papst. Mit Kardinal Jorge Mario Bergoglio, der sich fortan Franziskus nennen wird, hat zum ersten Mal ein Nichteuropäer den Heiligen Stuhl inne. Alleine das ist eine Neuerung, jedoch nicht die einzige, die der heutige Abend brachte. Der neue Papst, der in ungewohnter Bescheidenheit auftrat und erst einmal das Volk begrüßte, sich vor dem Segnen den Beistand Gottes durch seine Schafe erbitten lies und generell im ganzen Gestus zurückhaltend und irgendwie „unpäpstlich“ wirkte, hat schon mit seiner Namensgebung angedeutet, dass nun etwas Neues beginnen soll. Keine sture Rückbesinnung auf irgendeinen mächtigen Vorgänger sondern auf einen Heiligen, der seinerzeit den Mut hatte, sich dem herrschsüchtigen Papst Innozenz III. entgegenzustellen, indem er einen neuen Orden gründete, der sich ganz bescheiden den Armen widmen sollte. Der heilige Franz wird oft mit Attributen wie „revolutionär“ oder „reformatorisch“ bedacht, was zumindest Hoffnung aufkommen lässt, dass in Rom nun ein frischer Wind einzieht.

Es wird abzuwarten sein, ob diese Symbolik prägend sein wird für sein Pontifikat. Denn natürlich gibt es auch in seiner Vita den ein oder anderen Wermutstropfen. So beispielsweise seine unrühmliche Rolle in der Militärdiktatur oder seine hafrte Linie gegen Schwule und Lesben. Aber man sollte nicht vergessen, dass schon manch ein Papst in seinem weltlichen Leben nicht nur mit Ruhm zu bedenken gewesen wäre. Zudem kann man wohl kaum erwarten, dass die konservativste Institution einen absolut Abtrünnigen zum Oberhaupt wählt.

Alle, die nun seine Kritik an der Homoehe in den Fokus rücken, seien gefragt: Ist das wirklich das drängenste Problem der katholischen Kirche unserer Tage? Ich denke, dass es – Modernisierung hin oder her – utopisch wäre, in dieser Hinsicht große Sprünge zu erwarten, zumindest in naher Zukunft. Man muss auch ein wenig realistisch sein und auch die Innensicht der Kirche nachvollziehen.

Wichtiger ist nun, dass ein neuer Weg eingeschlagen wird. Schritt für Schritt muss sich die Kirche der Jetztzeit stellen und längst überfällige Reformen auf den Weg bringen. Sofern man in eingangs erwähnten Symbolen Vorboten eines Pontifikats sehen kann, lässt es zumindest raum für Zuversicht. Möglicherweise werden die heute Lebenden gar noch ein drittes Vatikanum erleben – wer weiß.

Gebiete, von denen ich eher ein Fortschreiten erwarte sind die bedingungslose Aufklärung der Misbrauchsfälle, eine Reform der internen Machtstrukturen des Vatikans, mehr Transparenz hinsichtlich der Machenschaften der Vatikanbank, eine Öffnung hin zu einer Kirche der Gläubigen, die nicht mehr nur von oben herab agiert, und vielleicht auch eine Neuorientierung hinsichtlich der Rolle der Frauen. Da man nicht unterschätzen sollte, dass der neue Pontifex aus einem anderen Erdteil kommt, ist es durchaus denkbar, dass hier neue Akzente gesetzt werden. Denn die lateinamerikanische Kirche hat ganz andere Sorgen als die europäische.

Hier steht zum Beispiel eine starke Konkurrenz zu evangelikalen Kirchen im Vordergrund, weshalb die Position in Bezug auf Laien und Frauen einen anderen Stellenwert hat als im alten Europa. Zudem hat Franziskus schon als Kardinal ein hohes Engagement für diejenigen gezeigt, die sich am Rande der Gesellschaft befinden. Nicht umsonst hat er den Beinamen „Kardinal der Armen“.

Ein überaus sympathischer Zug von ihm ist jedoch, dass er anders als viele seiner Kardinalskollegen immer auch ein „normaler Mensch“ geblieben ist. Wie man hören und lesen kann, ist er oft mit der Bahn gefahren und hat auch bei Romaufenthalten auf die Insignien seines Amts verzichtet und ist unscheinbar durch die Straßen der heiligen Stadt geschlendert. Dies kann man nicht genug würdigen, denn schaut man sich sionstwo in der Welt um, so haben Menschen in Machtpositionen meist seit Jahren keine „Sraßenerfahrung“ mehr. Selbst unsere Kanzlerin dürfte dank Fahrdienst und Flugbereitschaft schon lange keinem „Penner“ in einer gewöhnlichen U-Bahn mehr begegnet sein und egal, wo sie hinkommt, jubelt man ihr zu, da auf jeder Veranstaltung die eigenen Anhänger die besten Plätze innehaben. Natürlich wird der papst nun auch nicht mehr einfach so die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können, jedoch dadurch, dass er es bis vor kurzem noch tat, gibt ihm einen anderen Blick auf die wirkliche Welt – jenseits von Glanz und Gloria.

Allerdings möchte ich meine Erwartungen nun nicht zu hoch hängen, denn dann kann ich nur enttäuscht werden, dennoch denke ich, dass dies ein Einschnitt sein wird. Alleine schon deshalb, weil die europäische Hegemonialstellung gebrochen ist. Denn generell hat man leider auch heute noch zu oft den Eindruck, dass die „alte Welt“ noch immer ein wenig zu herablassend auf den „Rest“ hinabblickt. Wenn sie nun zu einem heraufschauen muss, den sie latent unter sich sieht, ist dies schon ein erster Schritt den Blickwinkel zu ändern.

Daher erwarte ich wenig, freue mich wenn mehr kommt und erhoffe mir das beste. Ich jedenfalls habe bei dem erbetenen Bittgebet, darum gebeten, dass er die Kraft hat,m die Probleme der Kirche beherzt anzugreifen und das Katholische selbst für scharfe Kritiker wie mich wieder attraktiv zu gestalten.

Auch hoffe ich, dass sollte er unangenehme Änderungen vornehmen, er auch in den eigenen Reihen Rückhalt und Unterstützung findet. Und so schließe ich mit den Worten, die auf dem Grabe von Hadrian VI., des letzten deutschen Papstes vor Benedikt XVI., stehen: “Wehe, wie viel kommt doch darauf an, in welche Zeit auch des trefflichsten Mannes Wirken fällt.”

Kauder-Welsch für Kinder-Reiche (2)

Quelle: imgur.comZur Rolle des Bundesverfassungsgerichts, vor dem uns meines Erachtens niemand schützen muss, wie man von einigen Unionsleuten hörte, habe ich mich zu diesem Thema hier schon 2010 geäußert. Daher werde ich auch diesen Aspekt beiseite lassen.

Hinsichtlich der neueren Entwicklung sehe ich jedoch zwei potentielle Handlungswege, die nun beschritten werden könnten. Zum einen eine Angleichung der rechtlichen Bedingungen von eingetragenen Lebenspartnerschaften, zum anderen eine generelle Öffnung der Ehe. Letzteres würde viel administratives Kleinklein überflüssig machen, da man dann nicht jede Einzelnorm anpassen müsste, sondern in einem Abwasch alles erledigt hätte, in dem man einfach das Etikett „Lebenspartnerschaft“ durch „Ehe“ ersetzt.

Entgegen aller Unkenrufe würde dies auch der Ehe in keiner Weise schaden. Wie derzeit in vielen Kommentaren zu lesen, dürfte jedem klar sein, dass keine heterosexuelle Hochzeit weniger gefeiert und kein Kind weniger geboren wird, öffnete man diese Institution auch für Homosexuelle.

Ein gerne angeführter Einwand gegen eine Öffnung der Ehe ist jedoch, dass die Ehe an sich etwas Besonderes, wenn nicht gar Heiliges ist. Am besten lässt sich diese Sichtweise durch einen kleinen kulturhistorischen Rückblick entkräften. Was ist also Sinn und Zweck einer Ehe?

Geht man zurück an die Anfänge dieses Gefüges, so muss man nüchtern feststellen, dass die Ehe ursprünglich ganz pragmatische Fragen lösen sollte. Denn nur durch ein solches rechtliches Konstrukt, kann man gewisse Probleme, die sich in einer überfamiliär organisierten Gesellschaft stellen, geschickt lösen. Erbfragen, Unterhaltspflichten, Zugehörigkeit und andere Aspekte des täglöichen Lebens, sind nun einmal einfacher handhabbar, wenn man über eine solche Ordnung verfügt. Es geht also darum, einen Rahmen zu schaffen, wie die Gesellschaft auf unterster Ebene zu organisieren sei. Wer erbt im Falle des Ablebens bevorzugt? Wer ist für wen in erster Linie verantwortlich? Solche und ähnliche Fragen sind ohne Konstrukte wie Ehe und Familie – etwa in Stammesorganisationen – nicht so geschickt lösbar.

Die Erfindung der Ehe scheint also eher auf Pragmatismus zurückführbar zu sein, denn auf irgendeine sakramentale Herkunft – zumal es schon Ehen gab, bevor sich die Religionen deren Regelung zu eigen gemacht haben.

Hier kommt man nun direkt zu weiteren Überlegungen, die zeigen, dass die Ehe, wie sie die Konservativen verstehen, in dieser Form nie existiert hat. Denn seit es dieses Rechtsgebilde gibt, ist es durch die Jahrhunderte nicht aus der Überlegung angewandt worden, den Fortbestand der Gesellschaft zu sichern, sondern es spielten und spielen immer auch persönliche oder familiäre Gründe eine Rolle.

Lange Zeit verstand man die Ehe nicht als Verbindung zwischen zwei Individuen, sondern als Verbindung zwischen zwei Familien. Dies beschränkt sich nicht nur auf die Herrscherhäuser, sondern begann schon beim einfachen Volk. Schon eine Einrichtung wie die Mitgift zeigt, was oftmals die Treibende Kraft hinter einer Hochzeit war: Höfe sollten zusammengelegt werden, Grund und Besitz vermehrt, Dynastien erhalten werden. Ehe war Politik. Man erweiterte den Einflussbereich der eigenen Familie durch geschicktes „Platzieren“ heiratsfähiger Töchter und Söhne, schloss somit Verbindungen und sicherte sich oftmals aus taktischen Überlegungen irgendwelche Vorteile.

Diejenigen, die sich auf die Heiligkeit des Sakraments berufen, sollten auch die zahlreichen Vorkommnisse nicht außer Acht lassen, die schon immer zeigten, dass die Ehe als Mittel verstanden wurde, das den Zweck heiligen sollte. Hier nur zwei der prominentesten Beispiele eines solchen Eheverständnisses.

Rodrigo Borgia, besser bekannt als Papst Alexander der VI., hatte keinerlei Skrupel, die Institution Ehe aus rein machtpolitischen Gründen zu misbrauchen. So verheiratete er seine uneheliche Tochter Lucrezia nach Gutdünken, annulierte ihre Ehe, nachdem sie sich als nicht mehr förderlich erwies und arrangierte eine bessere. Ob er etwas mit dem Tod des zweiten Gatten zu tun hatte, sei dahingestellt, jedoch wurde auch die dritte Ehe aus Kalkül geschlossen. Weitere Verfehlungen und Intrigen tun in diesem Zusammenhang nichts zur Sache, sind jedoch sehr interessant und generell lassen sich nicht nur in der Renaissance viele Beispiele finden, wie die Kirche selbst mit Sakramenten umgegangen ist.

Auch im Falle der Ehe zwischen Heinrich VIII. und Katharina von Aragón ging es nicht um ein heiliges Sakrament. Dass Papst Clemens VII. die Ehe nicht annulieren ließ, ist nicht seiner Überzeugung zu verdanken, dass eine einmal geschlossene Ehe nicht getrennt werden dürfe. Im Gegenteil – hatte er doch zu Beginn des Streits, der später die Abspaltung der Anglikanischen Kirche von Rom zur Folge hatte, durchaus ein offenes Ohr für die Belange Heinrichs. Doch standen persönliche Machtinteressen diesen entgegen, da ein Zerwürfnis mit Kaiser Karl V., dem Neffen Katharinas, nicht durch die Auflösung dieser Ehe zu weiteren Schwierigkeiten auf dem Kontinent führen sollten. Lieber ging der Papst das Risiko ein, einen Teil seiner Schafe aufzugeben. Abermals entschied das Kalkül über Wohl und Wehe einer Ehe.

Man mag nun einwenden, dass dies Einzelfälle sind, die als Exempel nicht geeignet seien. Doch nimmt man sich ein Geschichtsbuch zur Hand, so erkennt man schnell, dass es keiner sekularen Bestrebungen bedarf, um die Ehe als Sakrament zu entweihen. Aber widmen wir uns doch wieder den weltlichen Aspekten des Themas, wie es auch generell in dieser Debatte der Fall sein sollte, sofern man möchte, dass sie einer Republik würdig sei.

Weg von dem vermeintlichen Willen Gottes, hin zu den Naturwissenschaften. Natürlich ist der biologisch einzig funktionierende Weg, ein Kind zu zeugen, wenn sich Mann und Frau vereinigen – sofern man die Möglichkeiten der modernen Medizin einmal außenvor lässt. Auch haben die konservativen insofern recht, dass das am häufigsten praktizierte Lebensmodell die klassische Familie ist. Dennoch müsste man, folgte man der Argumentationslinie einiger Unionspolitiker, alleinerziehenden die Kompetenz Kinder in einer Weise zu erziehen, die ihnen nicht schaden, absprechen als auch zeugungsunfähigen Paaren das Adoptionsrecht entziehen. Denn wenn es auf natürlichem Wege nicht geht, dann geht es eben nicht. Da dies aber selbst die Konservativen nicht wollen, findet sich auch hier ein logischer Bruch. Somit ist die klassische Ehe auch hier kein geeigneter Ausgangspunkt.

Da ja meist früher oder später die Evolution und der Fortbestand der Gesellschaft – allgemeiner der Art – ins Feld geführt wird, ist vielleicht auch hier ein abweichender Blick hilfreich. Die Heterosexualität ist wie gesagt auf den ersten Blick erklärbar. Doch wieso gibt es das Phänomen Homosexualität? Was veranlasst die Natur, eine solche Abweichung der Natur überhaupt zuzulassen – nicht nur bei Menschen, sondern auch im Tierreich? Und wieso entsteht, wie es neueste Erkenntnisse nahe legen, Homosexualität in jeder Generation mittels epigenetischer Vorgänge neu? Ist dieser „unnatürliche Lebenswandel“ vielleicht ebenso „natürlich“, wie die Mehrheitsnorm?

Auch wenn die Erforschung der Homosexualität noch lange nicht am Ziel ist, so gibt es doch heute schon recht einleuchtende Erklärungsmuster. Einige evolutionsbiologische Theorien gehen davon aus, dass dahinter ein der Evolution dienender Zweck steht. Denn dadurch, dass ein gewisser Prozentsatz der Individuen einer Art, dem reinen Reproduktionsprozess entzogen sind, werden Kapazitäten frei, die ihr Dasein dem Vorrankommen der Art als Gesamtheit dienen. Dies kann einerseits dadurch geschehen, dass sie Funktionen erfüllen, die aufgrund von Brut und Pflege andernfalls zu kurz kämen, oder aber auch in der Form, dass diese Individuen den restlichen bei eben jener Brut und Pflege unterstützend zur Seite stehen. Ein analoger Gedankengang steckt übrigens auch in einigen Begründungen des Zölibats, denn die Aufgabe des Priesters besteht darin, der Gemeinschaft der Gläubigen als ganzes zu dienen, weshalb man ihn dem Familienalltag entzieht, damit er sich voll und ganz seiner Funktion widmen kann. Ausgehend von einem solchen gesellschaftsunterstützenden Zweck der Homosexualität, wäre es doch absurd, gleichgeschlechtlichen Paaren zu verbieten Kinder zu adoptieren und somit der Gesellschaft trotz ihrer Nichtreproduktion einen wertvollen Dienst zu leisten.

Ebenso krude Thesen finden sich bei den Gegnern des Adoptionsrechts hinsichtlich entwicklungspsychologischer Aspekte der Erziehung. Dieser Ansatz ist bar jeder Vernunft, denn logisch weiter gesponnen, müsste man dann einer großen Zahl von Eltern die Kinder entziehen, denn wenn ein Kind Vater und Mutter braucht, fallen Alleinerziehende schon mal raus. Ebenso könnte man dann – und dies ist nicht meine Sicht – auch Legitimationen finden um anderen Eltern die Kinder zu entziehen, in allen Fällen, wo eine „gesunde Erziehung“ mutmaßlich nicht möglich ist oder die Kinder vor Diskriminierung geschützt werden sollen, damit sie keinen Schaden nehmen.

Ein kleiner Einschub sei an dieser Stelle erlaubt: Gerade in den Reihen der Politiker finden sich viele Beispiele von Lebensentwürfen, die den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Prominenteste Vertreterin ist unsere ehemalige Familienministerin von der Leyen selbst. Denn obschon zuhause fast eine ganze Fußballmannschaft auf die Mutter wartet, hat sie noch ein sehr zeitraubendes Ministeramt wahrzunehmen, weshalb sie – so darf vermutet werden – einen Großteil der Erziehung ihrer Kinder an bezahlte Dritte outsourced. Denn während man bei Jauch, Illner und Co. diskutiert, kann man keine Gute-Nacht-Geschichten vorlesen.

Bleibt noch als letzte Bastion das Steuerrecht. Wer mir bis hierher zustimmend gefolgt ist, kommt nicht umhin auch hierbei einer Angleichung positiv entgegenzustehen. Das Hauptaugenmerk, auf das Gegner jedoch meist den Fokus lenken, sind die Mehrkosten, die der Staat dafür aufbringen müsste. An sich widerspricht dies der eigenen Denkweise, denn da die homosexuellen Partnerschaften ja zahlenmäßig sehr gering sind, sollte es ohne weiteres möglich sein, dieses „Rechtsrandgebiet“ im Etat mit zu verbuchen.

Doch selbst wenn man von nicht tragbaren Mehrkosten ausginge, so wäre es vielleicht Aufgabe der Regierung die unzähligen ehe- und familienfördernden Maßnahmen einmal auf den Prüfstand zu stellen. Dies soll jetzt nicht heißen, dass man die Unterstützung für Familien zwangsläufig kürzen soll, jedoch gibt es eine Menge von Regelungen, deren Zielsetzung sich widerspricht und teilweise zu seltsamen Konstrukten führt.

Eine mutige Regierung würde an dieser Stelle auch gleich eine ganz große Reform wagen und das Ehegattensplitting komplett abschaffen. Stattdessen könnte dies dann für Familien durch höhere Kinderfreibeträge, einen kindgebundenen Splittingfaktor oder ein höheres Kindergeld wieder ausgeglichen werden. Denn die Subvention kinderloser Doppelverdienerpaare erfüllt keinen gesellschaftlichen Zweck und dient nur der Belohnung derer, die eben nicht zum vielbeschworenen Fortbestand der Gesellschaft beitragen. Im Gegenteil fördert man damit nur deren persönliche Absicherung im Alter, da sie ein Leben lang mehr Geld zur Seite legen konnten, das dem Rest der alternden Gesellschaft, der wenigstens im Ansatz versucht hat, der demographischen Entwicklung entgegenzuwirken, dann fehlt. Aber wer Menschen Geld überweist, die staatliche Leistungen nicht in Anspruch nehmen, wie es die CSU mit ihrem Betreuungsgeld tut, der fördert auch gerne das ungenutzte Potenzial heterosexueller Ehen und subvensioniert somit den Verzicht auf Kinder.

Um jedoch nun endlich einmal zum Ende zu kommen, möchte ich den Kreis insofern schließen, dass ich wieder zurück in die im ersten Beitrag behandelte juristische Ebene finde. Fernab des breiten Interesses der Öffentlichkeit, gibt es nämlich schon die klassische Ehe ziwschen gleichgeschlechtlichen Paaren. In dem Falle nämlich, wenn einer der beiden Ehepartner sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat. Hier hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Ehe weiterhin volle Rechtskraft hat und weiterbesteht.

Die vollständige Gleichstellung – sei es als solche oder als Öffnung der Ehe – muss und wird kommen, ob mit oder ohne Unterstützung des konservativen Lagers.

Kauder-Welsch für Kinder-Reiche (1)

Quelle: flickr; CC: 陈霆, Ting Chen, WingEhe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (Art. 6,1 GG)

So lautet der momentan viel diskutierte Ausgangspunkt für die Diskussion um Homo-Ehe, Adoptions- und Steuerrecht. Immer wieder werden die gleichen, sich drehenden Argumente seitens des konservativen Lagers ins Zentrum dieser Debatte geführt, weshalb ich einmal die Gelegenheit ergreifen möchte, meinen Blog zu reaktivieren, um vielleicht den ein oder anderen Gedankengang hinzuzufügen.

Zuerst einmal möchte ich allerdings meine Hochachtung aussprechen. Es ist schon eine beträchliche Leistung von Katherina Reiche ihre inhaltlich dürftige Argumentation, in deren Mittelpunkt lediglich ein einziges Kernargument steht, so oft und reichhaltig zu paraphrasieren, dass man damit mehrere Talksendungen füllen kann. Ich selbst durfte es seinerzeit in einer Diskussion bei „Eins gegen Eins“, bei der ich damals die Sendung in den sozialen Medien betreut habe, erleben, wie beharrlich sie darauf herumreiten konnte, dass zu einer „richtigen Familie“ eben Vater-Mutter-Kind gehört. Mal untermauert mit dem Willen Gottes bzw. Bezugnahme auf die Schöpfungsrethorik, mal angereichert mit Prozentzahlen, die belegen, dass dies das von der Majorität gelebte Lebensmodell sei, welches auch vom Verfassungsgesetzgeber gewollt sei.

Doch Bezug nehmend auf Letzteres muss ich einen nicht unwichtigen Einwand erheben, den ich bisher in der Diskussion vermisse. Denn wie ich in meinem Studium gelernt habe, gibt es verschiedene Lesarten für Verfassungsnormen. Unter ihnen auch die, die genau schaut, was denn in einer Norm wortwörtlich steht.

Schauen wir uns also den oben zitierten Absatz einmal an: Unter dem besonderen Schutz stehen Ehe und Familie. Man muss kein Logikseminar besucht haben, um zu erkennen, dass es sich hierbei um eine Verknüpfung von zwei verschiedenen Begriffen handelt – andernfalls hätte einer ausgereicht, was bei der generellen Wortsparsamkeit des Grundgesetzes auch üblich wäre, denn literarische Ausschmückungen sind nicht zielführend beim Verfassen eines Staates.

Es scheint sich demnach um eine bewusste Abgrenzung zwischen diesen beiden Begriffen zu handeln. (Anm.: Bei solchen Betrachtungen kommt man nicht umhin, den „Willen“ des Gesetzgebers zu extrapolieren – ob dies auch wirklich der Fall ist, ist eine eigene Betrachtung wert.) Ehe und Familie sind also per definitionem nicht dasselbe. Genau hier eröffnet sich nun ein Interpretationsspielraum. Denn während „Ehe“ ein klar definiertes rechtliches Gefüge ist, lässt der Begriff „Familie“ ein breiteres Spektrum an Bedeutung zu.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass die Ehe hier nicht Kern der Norm ist, zeigt sich darin, dass sie in den Absätzen 2 bis 4 keine weitere Erwähnung findet und erst in Absatz 5 wieder zur Unterscheidung von „unehelichen“ und „ehelichen“ Kindern herangezogen wird, um Ersteren gleiche Rechte einzuräumen. In den anderen Sätzen ist von „Eltern“, „Erziehungsberechtigten“ und der „Mutter“ die Rede. Besonder Absatz 4 weist darauf hin, dass unsere Verfassungsväter und –mütter nicht nur die „klassische Ehe“ wie wir sie heute verstehen unter Familie subsumierte, da er hier einen Anspruch explizit der Mutter zugesteht.

Auch wenn diese Stelle selbst Gegenstand einer Überprüfung hinsichtlich ihrer zeitgemäßen Auslegung wäre, ist jedoch historisch nachvollziehbar, weshalb diese Sonderstellung im Grundgesetz verankert wurde – Ähnliches gilt für die Wortwahl „Erziehungsberechtigte“ in Absatz 4.

Wir schreiben das Jahr 1949. Deutschland liegt zu weiten Teilen noch in Trümmern. Das gesellschaftliche Gefüge ist noch nicht wiederhergestellt. Insbesondere die konkrete Lebenssituation vieler Menschen gestaltet sich kompliziert – erst recht für „Familien“. Kinder sind verwaist, werden teilweise von Großeltern oder anderen Verwandten erzogen, Frauen haben ihre Männer im Krieg verloren, vermissen sie noch oder wissen, dass sie sich noch immer in Kriegsgefangenschaft befinden. Einige Frauen haben gar uneheliche Kinder, sei es aus amourösen Verhältnissen während der letzten Jahre oder aber durch Vergewaltigungen durch Besatzer. Das Friede-Freude-Eierkuchen-Modell von Vater-Mutter-Kind ist für viele Menschen reine Utopie und gehört eher in die Welt des Kinderspiels.

Darauf reagiert nun der parlamentarische Rat, indem er dem kommenden Gesetzgeber die Pflicht auferlegt, dennoch dafür Sorge zu tragen, dass die „Familie“ den ihr besonders zustehenden Schutz der Gesellschaft erhält, da es – und hier haben die Konservativen ein sehr richtiges Teilargument – die Keimzelle derselben ist. (Inwieweit der Gesetzgeber dann im Folgenden dieser ihm obliegenden Pflicht in konkreten Normen gerecht geworden ist, sei an dieser Stelle außer Acht gelassen.)

Schaut man sich den Artikel 6 also genau an, fällt auf, dass er eben der Ehe keine besonders herausragende Stellung einräumt. Eher hat man den Eindruck, der Begriff „Ehe“ sei nur der Vollständigkeit halber mit in den Gesetzestext aufgenommen worden. Vielmehr ging es darum trotz der Vielfalt der verschiedenen Einzelumstände, die Familie zu bewahren und unter den besonderen Schutz des Staates zu stellen.

Im Sinne von Frau Reiches Argumentation, ging es also darum, auch einer nicht zu vernachlässigende Zahl von individuell verschiedenen Lebensumständen als „Familie“ diesen Schutz angedeihen zu lassen. Quasi versuchte man, sämtliche „Rechtsrandgebiete“ unter dem Dach „Familie“ zu vereinen.

An dieser Stelle sei mir ein kleiner Exkurs in die Semantik von Frau Reiche erlaubt. Natürlich ist mir klar, dass sie damit zum Ausdruck bringen wollte, dass es sich um Rechte für eine „Randgruppe“ – sprich einen prozentual geringen Bevölkerungsanteil – handelt. Doch zeichnet sich der Rechtsstaat in seiner heutigen Prägung dadurch aus, dass er zum einen nicht unterscheidet, wie groß die Bezugsgruppe ist (sonst müssten die §§ 961ff BGB, die sich mit dem Besitzstand von entflohenen Bienenschwärmen befassen längst als „irrelevant“ abgschafft worden sein). Ganz im Gegenteil ist es insbesondere im Bereich der Grund- und Menschenrechte vonnöten jede noch so kleine Gruppierung zu beachten. Zum anderen kennt das Recht zwar eine Normenhierarchie, nicht jedoch etwaige „Randgebiete“ des Rechts. Noch in keiner Urteilsbegründung ist mir eine solche Klassifikation begegnet: „Tut uns leid, wir konnten Ihnen nicht Ihr volles Recht gewähren, da Sie sich zu weit am Rand befinden.“

Es gibt also de facto als auch de jure in Deutschland kein „Rechts-Randgebiet“ – alleinig existent ist das „Rechtsrand-Gebiet“ innerhalb der Union, aus dem solch abstruse Neologismen kommen. An dem Rand dieser Zone verläuft auch der Grat, hinter dem ganz andere Denkweisen liegen und man muss sich sehr vorsichtig bewegen, da man sonst mit einem Schritt der Versuchung obliegt, mit Eva Hermann in den Lobgesang vergangener Familienpolitik einzustimmen.

Doch zurück zu Artikel 6, dieses Mal hinsichtlich seiner Stellung innerhalb des Verfassungsgefüges – auch dies eine gängige Betrachtungsweise, wenn auch hier eine gewisse Vorsicht geboten ist, alleine deshalb, weil nicht alles Wichtige in Artikel 1 stehen kann.

Werfen wir einen Blick auf die vorhergenden Bestimmungen des Grundgesetzes, so fällt auf, dass an allererster Stelle „die Würde des Menschen“ steht – ungeachtet weiterer Spezifizierung (Art. 1). Danach kommt „die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ (Art. 2), gefolgt von der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3). Erst nachdem im Folgenden Glauben (Art. 4) und Meinung (Art. 5) geregelt wurden, kommt die Familie (Art. 6) ins Spiel. Legt man nun die Argumentation zugrunde, dass auch der Reihenfolge hierbei eine zu beachtende Stellung zukommt, was wie gesagt nicht immer so sein muss, so muss man davon ausgehen, dass die Individualrechte vor der Gemeinschaftsrechten kommt. Auch wenn eine solche Argumentation sehr dünnes Eis ist, kann man diesem Gedanken folgend extrapolieren, dass im Zweifel die sexuelle Orientierung der Eltern wichtiger ist, als der Schutz der Institution Familie. Damit kein Misverständnis aufkommt, sei hier auf die Tatsache hingewiesen, dass schon in Artikel 2 die persönlichen Freiheiten dann Grenzen finden, wenn Rechte Dritter verletzt werden, was in dem konkreten Falle das Kind wäre.

Ungeachtet der Vorrangigkeit des Gleichheitsgebots, demzufolge homosexuelle Partner mit Kind heterosexuellen Partnern mit Kind gleichzustellen sind, trifft der von den Konservativen geworfene Pfeil auf die Dartscheibe auch hier einmal mehr nur die einfache Eins statt der dreifachen Zwanzig.

Dadurch, dass man zwei Dinge gleichstellt – oder besser: eine Sache auf die gleiche Stufe stellt wie eine andere – wird das ursprünglich Höherstehende nicht degradiert oder minder geschützt. Da wir uns ja im Themenbereich Familie befinden, hier ein anschauliches Beispiel, dem wohl auch alle Familienschützer zustimmen werden. Wer seinem zweitgeborenen Kind ebensoviel Liebe zukommen lässt wie dem Erstgeborenen, nimmt dem Senior nichts ab. Vielmehr kann er stolz von sich behaupten, dass er beide Kinder gleich liebe. Dies ist alltägliche Realität: Meine Beförderung hat keinerlei Auswirkung auf die berufliche Karriere oder gar den Gehaltszettels meines bisher höherrangigen Kollegen.

Da der Text jetzt schon länger geworden ist als erwartet, werde ich an dieser Stelle vorerst enden. Eine Fortsetzung hinsichtlich weiterer Aspekte der Debatte wird in den nächsten Tagen kommen.

Doch bevor ich schließe, möchte ich kurz noch darstellen, warum meine Überlegungen bis hierher nicht vom oft beschworenen Kindeswohl her argumentiert worden sind. Dies liegt einfach daran, dass es aus dieser Perspektive meines Erachtens gar keine andere Möglichkeit gibt, als eine Gleichstellung zu vollziehen. Denn jedes Kind sollte die gleichen Rechte und ganz besonders die gleiche Rechtssicherheit haben, ungeachtet der Lebensumstände der Eltern. Von daher: Wenn den Konservativen in diesem Land wirklich am Wohl des Kindes gelegen wäre, so müssten sie längst gehandelt haben. Da sie die Diskussion jedoch eher zur politischen Profilierung misbrauchen, sieht man alleine daran wes Geistes Kind sie sind und dass ihre Rückbesinnung auf vermeintlich christliche Werte auf halber Strecke versickert und dies nur, damit sie bei den jeweils nächsten Wahlen auf einige wenige Mehrstimmen von ewig Gestrigen hoffen dürfen.