Die besten Satiren schreibt das Leben selbst. Wenn menschliche Dummheit nicht so himmelschreiend weh tun würde, könnte man sich köstlich über das Gebaren des OLG München im Rahmen des anstehenden NSU-Prozesses amüsieren. Es ist an sich schon tragisch genug, was in der Zeit vor der ersten Tat bis zur Prozesseröffnung alles schief gelaufen ist und unser Staat hat sich wahrlich nicht von seiner kompetentesten Seite gezeigt – im Gegenteil. Doch dass es nun auch noch möglich ist, dass eine handvoll unsensibler Querulanten in der Lage ist durch reinen Stursinn dem Ganzen die von braunem Rost befallene Krone aufzusetzen, zeigt einmal mehr die abgrundtiefe Kluft zwischen Sonntags(trauer)reden und der Realität im Umgang mit solchen Vorgängen.
Was sagt es über eine Gesellschaft aus, die in der Lage ist ganze Stadien für Einzelauftritte mittelmäßig anspruchsvoller Comedians umzufunktionieren, es jedoch nicht gebacken bekommt, ausreichend Platz für sämtliche Prozessbeteiligten in einem der größten Rechtsextremismusprozesse der bundesrepublikanischen Geschichte zu organisieren?
Auch wenn dies eine bösartige Unterstellung meinerseits ist, so werde ich einfach das Gefühl nicht los, dass aus dem historischen Blickwinkel deutscher Rechtssprechung hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Es geht halt nicht um die Pontows, Bubacks und Schleyers sondern nur um eine handvoll mutmaßlich selbst krimineller Dönerverkäufer. Wider besseren Wissens um die tragweite dieser als „Dönermorde“ verschrieenen Taten scheint diese Denke noch immer unterschwellig im Bewusstsein der Zuständigen vorzuherrschen.
In den 70er Jahren, als ein Netzwerk linksextremistischer Verbrecher über ein Jahrzehnt lang Deutschland in Angst und Schrecken versetzte, scheute man keine Kosten und Mühen, weder im Aufwand der Fahndung, noch in der Reihe von Prozessen, die daurauf folgte. Man baute sogar in der Justizvollzugsanstalt Stammheim für 12 Millionen DM eine eigene Mehrzweckhalle für den RAF-Prozess. Ebenfalls ein Prozess, der sich – wie im NSU-Prozess ebenso zu erwarten – über Jahre hinzog und zu dessen Beginn man nicht wusste, welche Ausmaße er annehmen würde.
Denn wer weiß schon, was in den kommenden Monaten oder Jahren noch so alles zutage gefördert wird, welche Akten noch gefunden, welche Beteiligten noch ermittelt werden und welche Prozesse zusätzlich noch in diesem Umfeld eröffnet werden müssen? Nach den unzähligen Entdeckungen der vergangenen Monate, ist nicht auszuschließen, dass noch mehr in irgendwelchen Akten schlummert, von dem auch heute noch keine Aufklärungskommission und noch kein Untersuchungsausschuss sich auch nur vorstellen kann, dass es existiert.
Doch bliebe der Prozess nur auf die heute bekannte und vorhersehbare Größe beschränkt, so ist es dennoch eine Verhandlung bei der zehn Morde behandelt werden sollen und an dem sich über 70 Nebenkläger sowie an die 50 Anwälte beteiligen, ganz zu schweigen von dem öffentlichen Interesse des Prozesses, der weit über das gewohnte Maß hinausgeht und auch international beobachtet werden wird. Wir stehen vor einem zeitgeschichtlichen Ereignis, über das wohl in den nächsten Jahrzehnten dutzende Bücher und Filme entstehen werden und dem die Enkel von Guido Knopp mehr als eine Folge History widmen werden. Warum also in Gottes Namen nun eine solche kleinkarierte Verbohrtheit?
Zumal das Problem recht einfach zu lösen wäre – auf verschiedenste Weise: So könnte man beispielsweise ebenfalls eine größere Örtlichkeit wie etwa eine Mehrzweckhalle umfunktionieren. Natürlich würde man dann in Anbetracht der zu erwartenden Länge hierbei auf Widerstand der eigentlichen Nutzer stoßen, wobei man jedoch auch hier garantiert Wege zur Lösung finden könnte, wenn man denn wollte. Ebenso wäre es möglich in oben genanntes Prozessgebäude in Stammheim umzuziehen, denn dieses ist entgegen der damals vorgesehenen späteren Nutzung dennoch immer wieder für Prozesse von gewisser Größenordnung genutzt worden und nicht etwa als Sporthalle, wie man seinerzeit dachte. Denn was spricht dagegen, dass das OLG München im Rahmen einer Amtshilfe die Räumlichkeiten des OLG Stuttgart nutzt, außer dass die zuständigen Richter dann ein paar Kilometer mehr Anreisezeit hätten? Zumal es ungeachtet juristischer Zuständigkeiten um einen Prozess geht, der die ganze Republik angehen sollte.
Erschreckt war ich auch, als ich den O-Ton irgendeines Pseudo-Organisators im Fernsehen sah, welcher meinte, dass eine Übertragung etwa auf Leinwand nicht realisierbar sei. Warum auch? Wir leben in einer Zeit, in der jede kleine Eckkneipe es schafft für zwanzig Stammgäste sieben Großbildleinwände auf dem Bürgersteig zu postieren, um ein Fußballspiel zwischen Usbekistan und Trinidad und Tobago zu verfolgen und in der nicht nur die Wagnerfestspiele live ins Internet gestreamt werden sondern selbst kleinstkommunale Standesamte Eheschließungen via Webcam beobachten lassen können. Da wäre es doch abwegig und vermessen zu erwarten, dass Ähnliches bei einem solchen Prozess organisiert würde – etwa in Form eines eigens eingerichteten Presseraums mit Leinwand, auf der die Medienvertreter das Geschehen live verfolgen könnten und ihnen dabei noch die Möglichkeit zu Liveschalten bei Kaffee und Kuchen gegeben wäre.
Stattdessen wählt man einen der räumlichen Dimension nach ungeeigneten Saal mit begrenzter Platzzahl und handelt nach dem Prinzip „first come, first serve“ als handele es sich um ein Justin-Bieber-Konzert, bei dem sich Menschen stundenlang im Voraus für Karten anstellen und verbietet ähnlich wie bei Eintrittskarten zu Fußballgroßevents die persönliche Übertragbarkeit der Eintrittskarten.
Wenn mich an meinem sonst in vielerlei Hinsicht so faszinierenden Vaterland eines stört, so ist es das ewige Rumreiten auf angeblich so alternativlosen Regelungen. Getreu der alten Maxime: „Draußen nur Kännchen.“ Oder wie es seinerzeit spöttisch aus Russland (sic!) hieß: „Wenn der Deutsche Revolution auf dem Bahnhof macht, hat jeder Teilnehmer eine gültige Bahnsteigkarte.“
Um meinem Blutdruck wieder Herr zu werden und nicht die Tischplatte zu gefährden, auf die ich gerade geneigt bin, meinen Kopf aufgrund dieser Schildbürgerei unablässig zu schlagen, sollte ich vielleicht langsam zum Ende kommen.
Es ist schon traurig zu sehen, dass es in unserem Lande möglich ist, dass es einer handvoll uneinsichtiger Hinterwäldler gelingt, einen solchen Eklat überhaupt entstehen zu lassen und schlimmer noch, dass ebenjene, wenn sie auf offensichtliche Mängel in ihrer Organisation hingewiesen werden, nicht in der Lage sind umzudisponieren. Zudem ist es tragischerweise ein weiterer metaphorischer Schuss aus der Česká der NSU, dieses Mal abgefeuert aus einer kleinen Terrorzelle inmitten des deutschen Justizapparates.
So sehr ich den Opferfamilien, die wahrlich genug zu ertragen hatten in den letzten Jahren, wünsche, dass man ihnen nun endlich mit dem angemessenen Respekt gegenübertritt und sie zumindest ansatzweise die ihnen gebührende Gerechtigkeit erfahren, so sehr wünsche ich den Zuständigen des OLG München, dass ihnen dieser ganze Prozess dermaßen um die Ohren fliegt, dass er auf ewig als Beispiel schlecht gemachter bürokratischer Organisation Eingang in die Geschichtsbücher finden wird, auf dass auch nachfolgende Generationen über ein solches Maß an Unfähigkeit lachen werden. Gott mit dir, du Land(esgericht) der Bayern!